ZEN-Einführung: Eine Auszeit in Stille am Benediktushof in Holzkirchen
Es beginnt mit einem Gong-Konzert im Gewölbesaal. Ein stiller, älterer Herr bespielt die Gongs zurückhaltend und dennoch kraftvoll. Er entführt mich in eine andere Welt, meine Gedanken rasen, bleiben aber vage. Die Stunde vergeht wie im Flug, der Nachhall bleibt noch eine Weile.
Das Zimmer ist einfach und reduziert auf das Wesentliche. Nichts lenkt mich ab von mir selbst. Ab und zu Momente tiefer Trauer, ich denke an Mama und vermisse sie aus ganzem Herzen. Ich fühle mich einsam, gleichzeitig jedoch auch stark und geerdet.
Das erste Abendessen in Stille, sechs Fremde, schweigend an einem Tisch. Und plötzlich ist nichts mehr zu spüren vom Egoismus des Alltags. Augenkontakt, ein Lächeln hier, ein Lächeln da. Und niemand möchte den anderen das letzte Stück Brot wegnehmen.
Dann folgt das erste Abendritual. Unser Zen-Meister ist ein charismatischer, in sich ruhender Mann. Er strahlt eine würdevolle Strenge aus, gepaart mit einem leisen bisschen Selbstironie. Alle Handlungen folgen strikten Regeln und strengen Abläufen. Sitzen, schnelles Gehen, langsames Gehen. Zazen und Kinhin. Begonnen und beendet wahlweise durch das Klopfen zweier Hölzer gegeneinander oder das Schlagen des Gongs. Und immer flankiert von einer kurzen Verbeugung, die signalisiert: ICH BIN HIER. Nur hier. Ich sitze, ich gehe, ich tue nichts anderes, bin konzentriert und präsent.
Im Sitzen ruht der Blick auf dem Boden, die imaginäre Ameise zwischen beiden Daumen ist ein Anker für meine Aufmerksamkeit. Entwischt die Ameise, war ich nicht präsent. Ebenso wenig, wenn sie vom Druck meiner Daumen zerquetscht wird. Eine echte Herausforderung ist das langsame Gehen, im Gänsemarsch, ohne zu überholen. Das heißt, ich muss die langsame Geschwindigkeit meiner Mitstreiter im wahrsten Sinne des Wortes mitgehen. Es triggert mich und ich spüre meine Ungeduld, meine Gereiztheit. Woher kommt das? Immer dieser innere Antrieb, noch dies und das erledigen zu wollen. Am liebsten alles am selben Tag? Klar, dass mir vor diesem Hintergrund das Gehen in Zeitlupe schwerfällt.
Der Montag beginnt um 5.45 Uhr mit Kinhin an der frischen Luft. Das Gehen im Kreis fühlt sich anfangs fremdartig, geradezu unnatürlich und roboterhaft an. Doch mit der Zeit legt sich das Störgefühl und ich fließe einfach mit dem Scharm mit. Frage mich, was jeden einzelnen dieser Menschen hierhergeführt hat. Und das Gehen entfaltet langsam seine meditative Wirkung. Um 6.15 Uhr folgen Zazen und Kinhin im großen Meditationssaal. Ich bin sehr müde, da ich schlecht geschlafen habe. Ich schummle ein wenig und schließe die Augen beim Zazen. Doch die Gefahr, dabei wegzudämmern, ist groß. Ich ertappe mich bei dem Gedanken an das Frühstück, an eine Tasse Filterkaffee und danach vielleicht noch eine Stunde Schlaf, bis es um 9.45 Uhr weitergeht? Und schon bin ich nicht mehr präsent und stattdessen leicht gereizt. Vermutlich bräuchte ich einige Tage, um mich an diesen Rhythmus zu gewöhnen.
Später am Vormittag folgt ein Vortrag unseres Zen-Meisters zur Geschichte des Zen: Ursprünglich ein China entstanden, später in Japan groß geworden und von uns Europäern entdeckt und übernommen, gibt es nicht das eine, wahre Zen, sondern unzählige Strömungen. Der Benediktushof ist Sitz der Zen-Linie „Leere Wolke“, die 2009 von Willigis Jäger als erste große und eigenständige Zen-Linie in Europa gegründet wurde. Zen wird als die Haltung der unmittelbaren Präsenz, des Wachseins im gegebenen Augenblick, in dem das Leben in seiner ganzen Tiefe und Fülle erfahrbar ist, praktiziert. Doch es ist eine große Herausforderung für mich, der Aufforderung unseres Zen-Meisters Folge zu leisten und „die Welle der Gegenwart zu reiten“. Ich schaffe es immer nur für Sekunden, mich auf ihr zu halten, bis mich meine Gedanken an Vergangenheit und Zukunft heillos überfluten. Eckhart Tolle spricht von „No-mind“, von Bewusstheit ohne Gedanken, von innerer Stille als Zustand, den es zu erreichen gilt. Denn nur der gegenwärtige Moment enthält den Schlüssel zur Befreiung. Doch für unser Ego existiert der gegenwärtige Moment kaum. Nur Vergangenheit und Zukunft haben Bedeutung.
Das schnelle Gehen (Kinhin), das ich anfangs als roboterhaft empfand, wird zur Lieblingsübung. Ich denke häufig an nichts, empfinde eine befreiende Leere, Glücksgefühle stellen sich ein. Das langsame Gehen (Kinhin) fordert mich weiterhin heraus, das Sitzen (Zazen), fällt mir anfangs leicht, wird dann mit zunehmender Häufigkeit jedoch körperlich anstrengend. Alles in allem empfinde ich die strengen, ritualisierten Abläufe als etwas dogmatisch. Es fehlt mir das Spielerische, die Leichtigkeit. Vermutlich, weil man als Praktizierender kaum Freiheiten hat. Ob das am geballten Programm des Einführungskurses liegt? Es bleiben noch der Abend und ein weiterer Vormittag.
Die Gesprächsrunde am Abend war hochphilosophisch. Die Quintessenz unseres Zen-Meisters: „Entgegen seiner eigenen Vorstellung ist Zen weder Leere noch Einheit, weder Klarheit noch Gegenwart. Lassen wir es so, wie es ist: gelassen“. Alles klar?
Beim Kinhin am Abschlussmorgen entsteht in meinem Kopf das Bild vom Fluss des Lebens: Alle fließen mit, doch jeder auf seine ganz eigene Weise. Es gibt die langsamen Schwimmer, die gemächlich dahintreiben – entweder, weil sie gelassen sind, in sich ruhen und die innere Sicherheit besitzen, dass sie schon irgendwann irgendwo ankommen. Oder weil sie verletzt sind, wie sie etwas hindert, das Tempo der anderen mitzuschwimmen. Und dann gibt es die schnellen Schwimmer, ungeduldig jedes Hindernis in weitem Bogen umschwimmend, die gereizt reagieren, wenn ihnen einer der langsamen den Weg versperrt. Sie bekommen vermutlich wenig mit von ihrer Umgebung, ziehen ihre Lebensenergie eher aus dem Erreichten, aus ihrem Vorsprung gegenüber anderen. Und weil das Leben bunt ist, gibt es noch eine Vielzahl anderer Schwimmer mit anderen Erfahrungen, Stärken und Schwächen. Unsere Gruppe aus 54 bunten Fischlein war in meinen Augen ein ganz guter Querschnitt.
Jetzt folgt nochmal ein Vortrag und dann das gemeinsame Mittagessen in Stille. So sehr ich diese Stille und das Schweigen schätze, so groß ist jetzt aber auch wieder mein Bedürfnis, zu sprechen, meine Eindrücke zu teilen, mich auszutauschen. Ich mochte es, mit mir allein zu sein, die Ablenkung durch Handy, TV und Co. hat mir nicht gefehlt. Die Stille hat mich ganz zu mir selbst gebracht. Und wenn man auf sie hört, hat sie vieles zu sagen.